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Süddeutsche Zeitung
München, 4.7.2000, Autor: Martin Urban

"Alles echt!" - "Alles Blödsinn!"

(Beilage Umwelt, Wissenschaft, Technik, Autor: Martin Urban)

Die große Berliner Ausstellung Sieben Hügel präsentiert "suggestofiktive" Absurditäten als Relikte einer unbekannten Kultur

Vergesst Hannover! Mit 'Sieben Hügel - Bilder und Zeichen des 21. Jahrhunderts' inszeniert Berlin im Expo-Jahr seine eigene Weltausstellung im Martin-Gropius-Bau, die teuerste der Stadtgeschichte: eine begehbare Enzyklopädie im Geist der neuen Mitte." Mit dieser Eloge beginnt der Spiegel (19, 2000) seine Beschreibung eines in der Tat bemerkenswerten Unternehmens.

"Jede Ausstellung", so sagt Kurator Gereon Sievernich, "will den Besucher beeindrucken und ihm ein Bild bieten, dass er vielleicht so noch nicht gesehen hat." Das ist in Berlin zweifellos geglückt; wird dem Besucher doch - von den Medien bisher völlig unbemerkt - eine Kultur mit vielen ihrer Relikte vorgestellt, von deren Existenz Fachleute noch nie gehört haben. Die Babylonier sahen einst die Erde als eine Scheibe an. In Berlin erfährt der erstaunte Zeitgenosse, dass eine hoch entwickelte Kultur sich unsere Welt als Scheibe mit einem Loch in der Mitte vorstellte, und dass eben aufgrund dieser absonderlichen Betrachtungsweise sich unsere moderne Zivilisation - bis hin zur Entdeckung der Rechenmaschine - erst entwickeln konnte.

Wie kaum zu vermeiden bei einer solchen Fülle von Exponaten, sind den Gestaltern der "Sieben Hügel" natürlich auch gewöhnliche Fehler unterlaufen. So wird der Entdecker der Alpha- und Betateilchen, Ernest Rutherford , mit Namensvetter Daniel verwechselt, um hundert Jahre zu früh datiert, und damit die Geschichte der Atomphysik ein Jahrhundert älter gemacht, als sie ist.

Das für 28 Millionen Mark in Berlin errrichtete Gebirge besteht, neben einem "Kern" voller Assoziationen von Erdkern bis Kernphysik, aus den Hügeln "Weltraum", "Zivilisation", "Dschungel", "Wissen", "Träumen" und "Glauben". Anders als der Spiegel, sieht die Münchner Abendzeitung (24.5.) hierin ein "Sinnbild für Hybris und Beliebigkeit von Eventkultur..." Dagegen stellte zum Beispiel der Berliner Tagesspiegel (14.5.) in einer dicken Beilage voller Bewunderung ein Zitat zum Glaubens-Berg in den siebenhügeligen Raum: "Sie entdecken eine ganz auf ihre eigenen Bedürfnisse zugeschnittene Spiritualität."

Ein Kult auf schrägen Sohlen

Eine dieser Entdeckungen verdankt die Welt einem gewissen Klaus Heid. Im Jahre 1995, so erfährt jetzt der Ausstellungsbesucher, "überraschte Klaus Heid Fachwelt und interessiertes Publikum mit der Nachricht, er habe auf der Insel Olkhon im Baikal-See die letzten erhaltenen Spuren der sagenumwobenen Khuza-Kultur ausfindig gemacht. Die bei Grabungen und weiträumigen Recherchen zu Tage geförderten Fundstücke geben Einblick in das faszinierende Weltbild der Khuza, die sich die Erde als Ring vorstellten und deren Leben vom Verlust der Mitte traumatisch gekennzeichnet war."

Merkwürdigerweise hatte Hans-Joachim R. Papproth, Sibirienspezialist und Professor am Institut für Völkerkunde und Afrikanistik der Universität München, von der Existenz der "Khuza"noch nie gehört, bevor wir letzte Woche mit ihm sprachen. Auch in den Publikationen der Burjatischen Akademie der Wissenschaften kommen sie nicht vor. Das Gebiet am Baikalsee gehört zur Burjatischen Teilrepublik Russlands. Ebenso überrascht, dass im Zentrum dieser bizarren Religion aus der Steinzeit ausgerechnet der dann alsbald zum Geflügelten Wort gewordene Titel eines 1948 in Salzburg zum ersten Mal erschienenen Buches steht: Der Verlust der Mitte von Hans Sedlmayer.

Der Ausstellungsbesucher erfährt die Details der religiösen Rituale jenes urtümlichen Volkes vom Baikalsee. Offenbar hatte es Grund, sich ständig zu beklagen. Glücklicherweise fand Klaus Heid eines der Objekte, an welche sich die jammernden Khuza wenden konnten; eine "Beschwerdefigur" (Objekt 5 / 222, Neolithikum): "Auf Grund ihrer legendären Melancholie sowie ihrem sprichwörtlichen Missmut und der daraus resultierenden ausgeprägten Neigung zum Klagen pflegten die Khuza eine reiche Beschwerdekultur", weiß Heid zu berichten.

Die Khuza befragten vor allem das Fischorakel (Objekt 5 / 224). Auch hier werden dem Besucher in Berlin Einzelheiten mitgeteilt, die den Experten bisher völlig unbekannt sind: Die Khuza schlugen in einen quaderförmigen Steinblock eine Höhlung, in die, nachdem sie mit Wasser aufgefüllt worden war, ein lebender Fisch gesetzt wurde. Über einen bestimmten Zeitraum wurden die Bahnen, die er schwamm, verfolgt und gedeutet. Die Bahn des Fisches ist dann mit dem verkohlten Ende eines Hölzchens auf ein dünnes Stück Birkenrinde gezeichnet worden, das der kranke Khuza schlucken musste. Dem Verzehr dieser "Schluckzettel", so Heid, wurde heilende Wirkung zugeschrieben.

Nun mag man sich fragen, wie der Mann das alles herausgefunden hat. Klaus Heid, sozusagen der Tom Kummer der Völkerkunde, schildert das ganz offen im Internet: "Mit Hilfe der suggestofiktiven Methode - also der Kraft der Vorstellung (Anm. d. Red.) - stießen wir selbst in dem nur 10 Tage dauernden Aufenthalt - auf der Insel Olkhon, anno 1992 (Red.) - auf derart umfangreiches Material, daß wir nun in der Lage sind, ein vergleichsweise lebendiges Bild der Khuza-Kultur zu zeichnen. Dabei muß betont werden, daß aus Rücksicht auf spätere systematischere Recherchen keine Grabungen stattfanden." Seine "suggestofiktive Methode" expliziert Heid noch genauer: Mit dem Burjaten Kolja habe er im Beiwagen von dessen Motorrad einen "Kultplatz" in einer einstündigen Fahrt mehrmals umrunden können. "So kam ich jenem tranceartigen Zustand nahe, in den sich die Schamanen bei der Suche nach der Mitte versetzt haben mögen."

Apropos Kreisen: Heid beschreibt auch ein auf die sagenhaften Khuza zurückgehendes "Heiratsritual", Laufen entlang einer vom Schamane im Sand aufgezeichneten Kreisbahn: "Die heiratsfähigen Frauen bewegten sich durch diesen Kreis auf einer Linie hin und her, die zur Weltmitte hin ausgerichtet war und die Kreisbahn der Männer an zwei Stellen kreuzte. Dabei trugen die Männer Kreislaufschuhe mit seitlich abgeschrägter Trittfläche, die Frauen Linienlaufschuhe mit planer Sohle." Klaus Heid vergisst nicht, zu erwähnen, dass bei diesem Ritual auch jeweils zwölf Flaschen Wodka eine Rolle spielen, die der Brautwerber mitzubringen habe.

Auch wenn dies bisher die Fachwelt noch nicht einmal zu erahnen, ja Hans-Joachim Papproth in einer solchen Aussage nur "Blödsinn" zu erkennen vermag - "die Khuza vollbrachten enorme zivilisatorische Leistungen. Sie erfanden die Straße, die Rechenmaschine und benutzten Kompaß und Atlanten zur Navigation. Es war die Leistung der Khuza, daß sich der Ring als Kult und Gebrauchsgegenstand in der Welt verbreitete..." Die Besucher der "Sieben Hügel" können (Objekt 5 / 226, Katalog V, S.38) die "Symbolische Abbildung des Weltrings" bewundern, mit der schon wieder fundamentalen Erkenntnis: "Das Ringrelief stellt die weltumspannende kultische Straße dar (Vorläufer der Seidenstraße)."

Klaus Heid versteckte seine grundlegenden Erkenntnisse außerhalb der Ausstellung in einem Internet-"Buch" mit fünf Kapiteln von jeweils wenigen Seiten. Das fand die Berliner Wissenschaftsjournalistin Adelheid Müller-Lissner heraus. Selbst das von Heid verfasste "Khuza Lexikon" besteht nur aus dem Buchstaben A und den Stichworten Abakus, Absinth und Angara.

Der Mann hat nach eigenen Angaben nach dem Abitur in den Jahren 1976 bis 1986 "autodidaktische Kunststudien" betrieben. Er sei mit dem "PP-Qualitätszeichen" eines "Fonds für permanente Provisorien, Basel" ausgezeichnet worden, was auch immer das sein mag.

Wie konnte Klaus Heid in die - ansonsten höchst sehenswerte - Ausstellung geraten? Vermutlich trifft auf ihn der Titel eines Schauspiels von Johann Nepomuk Nestroy zu: "Einen Jux will er sich machen". Die Ausstellungsleitung in Berlin ist in dieser Beziehung offenkundig ahnungslos. Kurator Gereon Sievernich ist sehr stolz auf die "fast 2000 Leihgaben. 99,9 Prozent davon sind Originale." Besonders angesprochen auf die archäologischen Funde im Ausstellungsbereich "Glauben", betont Sievernich: "Das ist alles echt." Papproth verweist dagegen auf die langjährigen leidvollen Erfahrungen seiner Zunft mit "Esoterikern" wie Erich Däniken. Womöglich könne die eine oder andere Behauptung Heids einen "ganz entfernten mythologischen Kern" haben. Freilich hat selbst er als renommierter Experte einen solchen Kern - auch nach Studium der Fachliteratur auf unseren Wunsch hin - nirgends finden können. Bleibt die Erkenntnis, dass es anscheinend bei fehlender Kontrolle nicht nur "Borderline"-Journalismus und die ganz gewöhnliche Fälschung in der Forschung gibt, sondern auch so etwas wie von "Borderlinern" konzipierte Ausstellungs-Vitrinen.


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